Was ist Warten?

Angeblich verbringt der Mensch im Laufe seines Lebens ungefähr fünf Jahre mit Warten. Das ist eine Menge Zeit. Aber was ist dieses Warten eigentlich?

Es gibt unterschiedlichste Ausprägungen des Wartens. Da ist zum Beispiel das alltägliche Warten auf Bus, Bahn etc. Oder das Warten an der Kino- Konzertkasse. Eher lästige Situationen, die auch zeitlich anders empfunden werden. Eine Warteminute auf einem Bahnsteig oder an einer Haltestelle scheint 120 Sekunden zu haben. Dann gibt es das Warten auf etwas Schönes, Urlaub etwa oder die Ankunft eines geliebten Menschen. Auch in diesen Zeiten scheint die Zeit nicht vorüber zu gehen. Ist der Urlaub oder der geliebte Mensch endlich da, vergeht die Zeit wieder rasend.

Es gibt die Floskel „Das Warten hat ein Ende“. Sie wird meistens eingesetzt, wenn ein neues Produkt plaziert wird, ein Auto etwa oder ein Telefon. Auch bei saisonalen Besonderheiten wird sie gerne verwendet, zum Beispiel wenn die Spargelsaison beginnt. Dieses Warten, das angeblich ein Ende hat, ist im eigentlichen Sinne kein Warten, denn es tangiert den Alltag nicht. Es wird erst dann zu einem Warten, wenn irgendwelche Nerds die Nacht vor einem Telefonladen campieren, um als Erste bei Ladenöffnung das neue Modell in Händen zu halten.

Das Warten, oder Ausharren, ist ein Zustand vermeintlich außerhalb der Zeit. Es ist ein passiver Zustand, oftmals auch ein lähmender. Wer auf eine Antwort wartet, ohne die irgend etwas nicht weitergeht, fühlt sich gelähmt und behindert. Wenn diese notwendige Nachricht länger, trotz wiederholter Ermahnungen, ausbleibt, kann die oder der Wartende durchaus aggressiv reagieren. Daher wird Warten oft mit dem Adjektiv „passiv“ verbunden. Zur Passivität verurteilt zu sein ist eine quälende Zeit, die auch nicht, oder nur schwer, anderweitig sinnvoll genutzt werden kann. Quälend kann die Zeit des Ausharrens auch beim Warten auf eine medizinische Diagnose sein. Oder, wie mag sich ein Gefangener in der Todeszelle fühlen beim Warten auf die Hinrichtung?

Warten kann auch als Ausdruck von Macht eingesetzt werden. Jemanden warten zu lassen bedeutet, denjenigen nicht ernst zu nehmen, zu mißachten. Der kann ruhig noch warten heißt, der ist egal, nicht wichtig. Und doch lassen wir ständig andere warten. Es kann fatale Folgen haben, jemand zu lange warten zu lassen, bis derjenige eine Entscheidung trifft, die das Warten beendet. Nur wer in einer Position der Stärke ist, kann es sich leisten andere immer wieder zu vertrösten. Abhängige sollten niemals jemand warten lassen. Andere warten lassen zu können ist ein Privileg der Mächtigen, warten zu müssen, das Schicksal der Ohnmächtigen.

Bislang stellt sich der Zustand des Wartens als etwas Unangenehmes, Lähmendes dar. Aber gibt es auch etwas wie ein positives Warten? Wer in einen Zug oder ein Flugzeug steigt kann die Zeit bis zur Ankunft durchaus als angenehm empfinden, als eine Zeit, die sich kreativ oder kontemplativ nutzen lässt. Diese Zeit wird dann allerdings nicht als Warten empfunden.

Literarisch ist das Thema merkwürdigerweise nicht sehr präsent (wenn jemand Tipps hat, immer her damit). Die berühmtesten Wartenden in der Literatur sind wohl Wladimir und Estragon in Becketts Warten auf Godot und Penelope in Homers Odyssee, beziehungsweise Molly Bloom in Joyce`Adaption Ulysses.

Ein berühmtes Beispiel in der bildenden Kunst ist Richard Oelzes Gemälde Erwartung. Es ist eine Gruppe von gutgekleideten Menschen zu sehen, bis auf einen alle von hinten, die dichtgedrängt erwartungsvoll in den Nachthimmel starren. Was sie erwarten, erschließt sich dem Betrachter nicht. Dennoch hat dieses Motiv etwas religiöses, denkt man doch unwillkürlich an den Messias, oder einen Erlöser. Aufgrund der Entstehungszeit des Gemäldes 1935/36 sprechen manche Interpretationen auch von der herannahenden Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, die in dem düsteren Himmel symbolisiert ist, in den die Wartenden blicken.

Wartenden wird oft Geduld empfohlen. Die Fähigkeit zur Geduld ist erstrebenswert, auch wenn sie nicht immer hilfreich ist. „Hab`doch etwas Geduld“ heißt ja oft nichts anderes als „Hör auf zu nerven“. Die Floskel „Das Warten hat ein Ende“ ist natürlich eine Lüge, denn das Warten hat erst dann ein Ende, wenn das eintritt, worauf wir alle warten, nämlich unser Ende. Wie also gehen wir mit diesem Warten um? Wie nutzen wir die fünf Jahre?

Ich möchte um Eure Mithilfe bitten. Was verbindet Ihr mit dem Zustand des Wartens, was bedeutet es für Euch? Ist es positiv oder negativ besetzt? Wie nutzt Ihr diese vermeintlich passive Zeit? Beiträge gerne hier in den Kommentaren oder auch kurz auf Twitter unter dem Hashtag #wasistwarten. Vielen Dank.

 

 

 

 

 

 

 

11 Gedanken zu „Was ist Warten?

  1. Ich werde auf meinem eigenen Blog eine Antwort schreiben. Ein paar Gedanken zu dem Thema, auch in Bezug auf Film. Ich interessiere mich für das langsame Kino, wo sehr viel gewartet wird. Aber mehr dazu auf meinen Blog. Ich schicke dir den Link, wenn ich meine Ideen gesammelt habe! Liebe Grüsse, Nadin

  2. Eigentlich warte ich ungerne. Aber nur, wenn ich mich auf etwas freue und es entsprechend kaum „erwarten“ oder „abwarten“ kann. Man lernt jedoch mit zunehmendem Alter, dass Warten auch eine gute Gelegenheit ist, Ruhe zu haben und die so gewonnene Zeit für sinnvolles In-sich-kehren zu nutzen. Beim Bügeln nannte ich es früher mal „meditatives Arbeiten“. Heute kann ich dies auch, wenn ich ohne Bügeleisen einfach nur sitze und beobachte und warte. Da darf dann auch mal jedes elektronische Gerät in der Tasche bleiben. Die innere Unruhe ausschalten, Wartezeiten mit Beobachtungen rundum nutzen – so lässt sichs gerne mal „warten“. Auf was auch immer. Viele Grüße und ich hoffe, der Apostroph war richtig. Moment, ich googel noch, warte mal… 🙂

  3. Ich finde warten gar nicht so schlimm. Ich betrachte dann meist die Umgebung und irgendwann kommt es auch vor, dass ich einfach die Zeit vergesse und nicht mehr übers Warten nachdenke. Auch wenn ich dabei manchmal Musik anhabe, die erleichtert das Waren in gewisser Weise für mich. Und beim Warten kommen mir auch oft einige Gedanken für meinen Blog oder andere Sachen, an die ich so noral nicht denke oder die mir immer wieder entfallen. In dem Sinne hat warten auch einen sehr positiven Aspekt. Und es festigt auch die Fähigkeit, Geduld haben zu können, was ebenso gut ist.
    GLG

  4. Ich habe mal 2 Stunden an einem winzigen japanischen Provinzbahnhof (Niimi) auf den nächsten Zug gewartet und dabei an einen Text von Heidegger gedacht, der darin eine ähnliche Situation beschreibt. Ich glaube, es ging um Langeweile. Nichts passiert. Die Zeit will nicht vergehen. Man weiss nichts mit sich anzufangen. Dreht im Kreise.

    Später dachte ich, dass die von Heidegger beschriebene Situation seltsam ist. Denn Heidegger war nicht im Nirgendwo, sondern am Bahnhof am Rande eines Dorfes. Da haben doch wohl Menschen gelebt. Sie haben sich offensichtlich nicht für den wartenden interessiert und er nicht für sie. Die Langeweile, das durch den Fahrplan vorgegebene Wartenmüssen sind nicht per se verlorene Zeit, sondern offenbar durch einen gesellschaftlichen Umstand geprägt. Man lebt aneinander vorbei. Die scheinbar nächsten sind kein greifbares Ziel mehr und so wartet man dann, auf was….

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